Mein Brief an das TherapeutInnenteam nach meinem unfreiwillig etwas abrupten Abgang... :
Ich
wurde neulich gefragt, warum ich denn immer noch so ernst gucke? Ob
denn die Therapie nicht geholfen habe? Ob ich denn nicht geheilt sei?
Das
hat mich nachdenklich gemacht und diese Gedanken teile ich gern mit
Ihnen!
Geheilt....
Ein
Wort, dass ich in der Therapiegruppe von anderen KlientInnen wohl
auch gehört habe. „Wenn ich dann geheilt bin....“
Geheilt?
Wann bin ich geheilt?
Mit
welchem Anspruch bin ich hierher gekommen?
Wollte
ich „geheilt“ werden?
Das
ist die falsche Frage! Die Frage ist nicht, ob ich geheilt werden
wollte. Natürlich würde ich das gern, aber was ist heil sein? Wann
wäre ich geheilt? Wie würde ich mich dann fühlen? Was wäre
anders?
Die
Frage ist, ob ich geheilt werden kann! Wie sollte das gehen?
Was
würde dann aus dem allen, was ich erlebt habe?
Nein,
es gibt keinen Schalter, den ich umlegen kann, den irgendjemand
umlegen kann, und dann bin ich geheilt.
Und
wieder die Frage, was wäre das, heil sein, geheilt sein? Bin ich
krank?
Ich
bin verletzt. Tief und grundlegend verletzt. Von Anfang an – an
Leib und Seele verletzt – in meinen Grundfesten erschüttert, bevor
ich den ersten bewussten Gedanken meines Lebens denken konnte, das
erste bewusste Gefühl fühlen konnte, das erste Wort sagen, den
ersten Schritt gehen konnte.
Verletzt
– aber ich habe überlebt.
Ich
habe Narben bekommen, die sich auf meine Seele gelegt haben, wie ein
Schatten. Narben, die groß und hart wurden, weil die Pflege dieser
Narben nicht sachgerecht erfolgte. Und es kamen immer neue Narben
hinzu.
Und
immer noch habe ich überlebt.
Habe
Strategien entwickelt, mit den Narben zurecht zu kommen, habe die
Schmerzen, die solche Narben von Zeit zu Zeit machen mit anderen
Schmerzen überdeckt. Habe Werkzeuge entwickelt, die sich richtig
angefühlt haben.
Ich
habe Strategien entwickelt, zu überleben und durchzuhalten.
Irgendwie. Ohne, dass ich wirklich gewusst hätte, wofür. Es gab
eigentlich keine Grund zu leben – das war die erste Lektion meines
Lebens.
Sind
Sehnsucht, Angst, Hilflosigkeit und Wut eine Krankheit? Nein, sie
sind die Folge aus den Verletzungen – sind Symptome, nicht die
Ursache.
Das
beantwortet die Frage danach, ob ich geheilt werden kann. Die
Verletzungen werden immer ein Teil meines Ichs sein, meine
Persönlichkeit. Die Erinnerungen, die Schmerzen – auch die
körperlichen – werde ich nie los werden. Es wird immer dunkle
Zeiten in meinem Leben geben.
Egal,
was denen passiert, die mich so verletzt haben, die mir das alles
angetan haben, egal welche Strafe sie in diesem Leben oder wo auch
immer erwartet – ich habe lebenslänglich! Es gibt keine
Wiedergutmachung, keine Sühne – daher gibt es keine Heilung. Das,
was mir kaputt gemacht wurde, ist nicht ersetzbar und nur bedingt
reparierbar!
Ich
werde nie „geheilt“ sein – es gibt kein „neues“ Leben –
was sollte ich dann mit dem alten tun?
Aber
es gibt etwas Anderes!
Es
gibt meine Entscheidung, dem allen die Macht zu nehmen.
Ich
habe am Anfang der Therapie gesagt, ich will Friedensverhandlungen
mit mir aufnehmen.
Das
waren harte und zähe Verhandlungen – und das Ergebnis ist fragil.
Aber
sie sind gelungen.
Weil
ich in Ihnen allen Menschen gefunden haben, die das ernst genommen
haben. Es gab die richtige Frage -“wozu ist das gut?“ - die mich
dazu gebracht hat über neues Werkzeug nachzudenken.
Es
gab die Bereitschaft, den Weg auf meine Art mit mir zu gehen – mich
ausprobieren zu lassen und mich zu begleiten – in eben allem, was
dazu gehört!
Es
gab aufmunternde und hinterfragende Worte.
Ein
Lächeln.
Ein
Augenzwinkern.
Zuspruch,
wenn ich ihn gebraucht habe.
Ich
habe mich beschützt und aufgehoben gefühlt.
Ich
durfte mich auf die Suche machen nach mit selbst und lernen, mich
nicht zu fürchten. Nicht vor mir und nicht vor dem, was mir in mir
und durch mich begegnet. Im Gegenteil – die Erkenntnis, dass das,
was ich bin, durchaus eine Wert hat, den es sich anzusehen lohnt!
Ich
durfte und musste nicht – ich konnte und wollte und musste nichts
liefern. Und ich habe das Gefühl mitgenommen, dass es sich lohnt,
nach mir zu suchen, dass ich es wert bin. Ich habe mich angesehen und
konnte von meinen Defiziten absehen. Sie sind da – aber nicht nur.
Die dürfen da sein – ich muss nicht perfekt sein, nichts beweisen.
Ich bin gut – tatsächlich – was für eine Erkenntnis.
Nach
wie vor sehe ich mich jeden Morgen an – lächle mir zu und begrüße
mich und wünsche mir einen guten Tag.
Wenn
ich etwas mitnehme, dann ist es ein liebevoller, sorgender und
fürsorglicher Blick auf mich.
Und
die Feststellung, dass das was ich brauche, wonach ich gesucht habe,
in mir ist – und dass ich das von keinem anderen bekommen kann.
Bin
ich geheilt?
Nein,
sicher nicht! Das wäre nie der Anspruch gewesen!
Ich
bin ein wenig heiler, ganz, ich.
Ich
habe Schuld abgegeben, Angst bearbeitet und neue Strategien und
Werkzeuge mit genommen.
Ich
konnte den alten Werkzeugkoffer mit neuem Werkzeug auffüllen.
Sicher
wird es immer mal passieren, dass ich zu dem alten erprobten Werkzeug
greife und feststellen muss, dass es nicht passt.
Ich
werde weiterhin immer mal wieder Albträume haben. Schlaflose Nächte.
Tränen, Verzweiflung, Angst.
Ich
habe nach wie vor Panikattacken.
Aber
ich habe gelernt, dem allen die Macht zu nehmen. Es bestimmt mich
nicht mehr so.
Ich
habe einen sicheren Ort, Helferlein, gehe achtsam mit mir um. Und im
Zweifel hole ich mir eben Hilfe – sage, was ich brauche. Etwas, was
ich am nötigsten und schwersten zu lernen hatte!
Ich
weiß nicht, was kommt und was das Leben noch für mich bereit hält.
Was
ich weiß ist, dass ich es in die Hand nehmen kann, dass ich
gestalten kann und selbst bestimmen kann, wohin die Reise geht.
Wenn
man nicht die ganze Zeit damit beschäftigt ist, vor sich selbst
wegzulaufen, kann man sich auf den Weg konzentrieren, den man bewusst
gehen will und kann!
Ich
habe am Anfang der Tagesklinikzeit mal das Bild von den Steinen
benutzt.
Wenn
man Steinen aufeinander legt, baut man einen hohen und
unüberwindlichen Berg.
Wenn
man sie hintereinander legt, wird ein Weg draus.
Danke,
dass Sie mir geholfen haben, die Steine zu legen. Dass Sie mir
Handwerkszeug gereicht haben, mit dem ich in der Lage war und bin,
den Weg zu bauen und weiter zu gehen.
Ich
weiß, dass das nur möglich war, weil ich das auch wollte.
Aber
auch, weil Sie mich ermuntert und bestärkt haben!
Vielleicht
brauche ich noch mal Hilfe dabei, den Weg weiter zu bauen. Das weiß
ich nicht.
Wenn
das so ist, bedeutet es kein Scheitern mehr, sondern ist einfach ein
weiterer Stein, der seinen Platz sucht......
Dass
ich das so sehen kann – dazu haben Sie einen großen Teil
beigetragen!
Es
war und bleibt eine gute und richtige Entscheidung, in die
Tagesklinik zu kommen und mich Ihnen anzuvertrauen!
Ich
würde sie jederzeit wieder so treffen!
Und
das kann ich nicht von so ganz vielen Entscheidungen meines Lebens so
uneingeschränkt sagen – das ist mal klar!
Ich
wünsche Ihnen allen für Ihre Arbeit weiterhin so viel Enthusiasmus,
Engagement, Kraft, Mut und Liebe. Und ich wünsche Ihnen, dass Sie
immer Menschen um sich herum finden, die sie mit so viel
Warmherzigkeit und Liebe und Freundlichkeit und Humor begleiten, wie
Sie das mit uns KlientInnen tun!
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