Liebstes
Bruderherz, 27.12.15
jetzt sind es schon fast fünf Wochen
ohne Dich!
Fünf Wochen sind nicht viel und
dennoch scheint es, als wäre es eine Ewigkeit....
Noch immer muss ich den Impuls
unterdrücken, Dir Nachrichten zu schreiben... Ich rufe Deine Seite
auf und schaue, was es Neues gibt – letzter Eintrag am 23ten
November – dem Abend vorher... danach kein Lebenszeichen mehr –
meine Nachricht hast Du schon nicht mehr gelesen.
Wie erwartet und wie unangemessen ist
das Leben einfach weiter gegangen. Die Tage kommen und gehen und auch
Weihnachten haben wir überstanden. Es war kein frohes Fest dieses
Jahr – schön dennoch auch mit den Kindern und mit Micha und mit
der Wahlverwandtschaft.
Schön irgendwie, weil ich abgelenkt
war und weil ich genug Medikamente nehme, um das aushalten zu können.
Aber dennoch...
Jede verdammte Nacht werde ich wach und
frage mich, was ich hätte tun können, was ich versäumt habe. Ich
liege da, die Stunden verrinnen, ich schaue in den Himmel über mir
und – ja was eigentlich?
Ich kann nicht mehr weinen, ich möchte
schreien.. das Leben anschreien, es möge endlich mal aufhören, mir
immerzu neue Aufgaben aufzubürden.
Meine Trauer herausschreien, meine Wut,
meine Verzweiflung, mein Verlassen sein.
Aber ich liege still da und lausche auf
die Geräusche der Nacht. Ich schreie nicht, ich bin still, ich harre
aus und warte, dass die Nacht herum geht oder ich gnädigerweise
wieder einschlafen kann.
Bis ein weiterer Tag kommt, den ich
erst einmal nur überstehen will. Mehr im Moment noch nicht. Nur von
einem Tag zum nächsten schaffen und dann weiter sehen.
Ich lausche in mich hinein.
Die alten Gefühle sind wieder da –
anders auch, weil es jetzt eine Zeit vor Dir, eine mit Dir und eine
ohne Dich gibt. Eine Zeit des Suchens, des Findens und nun des
Loslassens.
Ich muss Dich los lassen, gehen lassen
und dabei in meinem Herzen festhalten. Ich muss ihn zulassen den
Gedanken, dass nach so kurzer Zeit schon wieder eine neue Zeit
gekommen ist. Dass ich keine Zeit habe, mit Dir zu verschnaufen.....
Du hast beschlossen, zu gehen und uns
hier zurückzulassen. Das ist so und das ist unverrückbar. Es gibt
kein Zurück mehr, kein nochmal versuchen – Du bist fort und wir
sind hier – ohne Dich, mit wieder einer neuen Wunde und einer alten
wieder aufgerissenen – so ist das – wieder mal!
Wieder mal nicht daran zu zerbrechen
ist schon echt ein Job, mein Lieber – aber wie immer werde ich auch
das schaffen! Wir alle werden es schaffen...
Weißt Du – ich bin es langsam echt
leid, dass ich immer ausbaden soll, was Andere in meinem Leben so
anrichten. Ich muss hier nicht nur meine Trauer aushalten, auch die
der Kinder muss ich abfangen und für sie erträglicher machen. Ich
muss den Beiden erklären, dass auch ihre Liebe nicht gereicht hat,
Dich zu halten. Kannst Du mir mal erklären, bitte, was dafür die
richtigen Worte sind?
Oder wie ich hier Alltag gestalte, wenn
sich nichts mehr alltäglich anfühlt....
Manchmal macht es mich so verdammt
wütend, weißt Du, dass Du einfach gegangen bist. Man ist ja nie so
wirklich auf den Tod eines Menschen vorbereitet, auch nicht wenn er
lange schon krank ist und war, aber DARAUF kann einen nichts
vorbereiten. Nichts auf der Welt kann auf diese Wucht vorbereiten,
wenn jemand, den man liebt, die Welt auf diese Weise verlässt. Die
Wucht, mit der es uns getroffen hat, wie es uns die Füße wegzieht,
das Leben auf Links dreht und die Welt verdreht ist zerstörerisch
wie ein Tornado oder Schlimmeres – nicht äußerlich vielleicht
aber innen drin, weißt Du. Innen ist Totalschaden! Schlimmeres habe
ich nie gefühlt bis jetzt und ich kann auf ähnliche Erlebnisse
verzichten.
Worauf ich wütend bin?
Na ja – in erster Linie bin ich nach
wie vor wütend auf alles das, was uns beiden von Anfang an einen
unguten Start in unser Leben beschert hat – und ich bin nicht
bereit, davon abzusehen. Vergeben ist nicht mehr! Nie mehr! Die erste
und alles auslösende und größte Verantwortungen bei den Tragödien
unseres Lebens haben die damals Erwachsenen, die nicht in der Lage
waren, adäquat zu handeln. DAS ist das erste und zerstörerischste
Moment unseres Leben – Das Schlimmste, das man Kindern antun kann,
ist verlassen und anlügen – ganz einfach....
Manchmal mein Lieber, bin ich auch
wütend auf Dich.
Dann finde ich es egoistisch, einfach
zu gehen und uns hier allein zu lassen.... Einfach rücksichtslos so
was... bis ich dann wieder Dein Gesicht, diesen letzten Eindruck
Deines Leides vor mir sehe, der sich so in mein Herz und meine Seele
eingebrannt hat – und dann fühle ich nichts als Mitgefühl und
Verständnis und Liebe – wirkliche Liebe zu Dir und den Wunsch,
dass Du jetzt endlich Deinen Frieden haben mögest! Dann finde ich
mich egoistisch, weil ich so sehr wünsche, dass Du nicht gegangen
wärst!
Wenn ich es so anschaue, ist Beides
egoistisch – und Beides darf so sein und ist nicht schlimm. Ich
darf mir wünschen, dass es einen anderen Weg gegeben hätte und ich
darf Dich so unendlich vermissen und wünschen, dass Du da wärst..
Und Du durftest natürlich diese Entscheidung treffen, ein Leben zu
beenden, das an vielen Stellen nicht gut zu Dir war und das Du nicht
mehr aushalten konntest. Es war Dein Leben und nur Du hattest das
Recht zu entscheiden, wie viel davon Du aushalten konntest und wann
es nicht mehr ging.
Vielleicht, wenn Du die Entscheidung
noch einmal aufgeschoben hättest – noch ein wenig gewartet
hättest, das denke ich immer noch und auch das ist egoistisch - und
auch das nehme ich mir heraus.
Es bleibt mir und uns, darauf zu
hoffen, dass es irgendwann leichter wird, erträglicher, aushaltbar.
Dass dieses Leben noch Gutes bereit hält.
Die Hoffnung ist nicht mit Dir
gestorben, sie bleibt – Glaube Liebe und Hoffnung. Der Glaube
daran, dass Alles gut wird, die Hoffnung auf ein Wiedersehen und die
unendliche Liebe zu Dir, die schon immer da war und immer da sein
wird.
Sie wird alles überdauern, das steht
fest.
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